Wer kennt nicht solche Situationen: die S-Bahn fällt aus wegen Personalmangels. Der dringend benötigte Handwerker kann frühestens in 6 Wochen kommen. Ihr Lieblingsrestaurant schließt am Feiertag wegen Personalmangels. Und die alten Eltern finden keinen Platz im Pflegeheim, obwohl es dort freie Zimmer gibt. Aber eben nicht genügend Pflegekräfte. Wo sind nur all die Fachkräfte hin? Nach den Corona-Jahren scheinen sie sich in Luft aufgelöst zu haben. Und so viel junge Menschen kommen gar nicht nach, um all diese Leerstellen aufzufüllen. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer. Darf ich Ihnen ein paar junge Arbeitnehmer vorstellen:
Khalid arbeitet als ausgebildeter Installateur. Fahim ist Vorarbeiter im Reinigungsdienst. Rahman arbeitet ebenfalls festangestellt bei einem Unternehmen für Gebäudereinigung. Hamit arbeitet als Konditor und Omar als Koch. Aliashgar und Farzad sind festangestellte Kantinen-Arbeiter. Malek arbeitet als Klima- und Kältetechniker. Yousef ist Informatiker. Abdul arbeitet bei einer Security-Firma. Jamal steht kurz vor der Prüfung zum Rettungssanitäter. Ahmad ist Fahrer im Rettungsdienst. Aras arbeitet als Bereichsleiter im Finanzwesen. Alaaeddin ist ausgebildeter Friseur. Mahdi macht gerade eine Ausbildung zum Anlagen-Mechaniker. Ahmad arbeitet als Autolackierer und Bakary ist ausgebildeter Landschaftsgärtner.
Was ist all diesen jungen Männern gemeinsam? Sie alle kommen aus unserer kleinen Flüchtlingsunterkunft hier in Oberesslingen. Sie haben Deutsch gelernt, teilweise Schulabschlüsse nachgeholt und Ausbildungen absolviert. Einige wenige konnten ihre ausländische Berufsausbildung anerkennen lassen. Manche arbeiten ohne Ausbildung in Bereichen, in denen ihre Tatkraft dringend benötigt wird. In der ersten Zeit haben sie öffentliche Hilfen gebraucht, doch jetzt verdienen sie ihr eigenes Geld und zahlen Steuern. Und halten mit ihrem Arbeitseinsatz unsere Wirtschaft und unseren Alltag mit am Laufen. Aus unserer Unterkunft kommen noch mehr arbeitende Geflüchtete, ich kann nicht alle nennen. Und es könnten noch viel mehr dazukommen, wenn man Hindernisse wie Arbeitsverbote oder monatelanges Warten auf eine Beschäftigungserlaubnis beseitigen würde.
Das sind doch eigentlich gute Aussichten! Doch wenn man der Politik und den Medien zuhört, ist von guten Aussichten nichts zu spüren. Täglich ist zu hören, welche Last die Geflüchteten für das Land und die Kommunen darstellen. Flüchtlinge müssen herhalten, um die Verunsicherung und schlechte Stimmung der Gesellschaft zu erklären. Klimakrise, Energiekrise oder außenpolitische Krisen scheinen da plötzlich keine Rolle mehr zu spielen. Und die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahlen werden mit der „laschen“ Migrationspolitik der Regierung erklärt: weil die Menschen sich durch die Geflüchteten überfordert fühlten, und die Regierung sie nicht vor dieser Gefahr schütze, deshalb wendeten sie sich rechtslastigen Parteien zu.
Dieser Zusammenhang ist beängstigend. Was heißt das für uns als Kirche? Ist die Zuwendung der Kirche zu den Geflüchteten mitverantwortlich für einen Rechtsruck in der Gesellschaft? Sollten wir besser schweigen? Sollte der Freundeskreis Flüchtlinge hier in Oberesslingen besser aufhören zu arbeiten, oder zumindest nur noch im Verborgenen tätig sein? Niemand von uns will einen Rechtsruck! Aber Schweigen kann nicht der Weg sein. Kirche zu sein bedeutet für mich, Anwaltschaft für die Schwachen in unserer Gesellschaft zu übernehmen. Und ein Anwalt muss Worte finden, um wirksam zu sein.
Aber vielleicht können wir solche Worte finden, die nicht Angst machen, sondern Mut. Vielleicht können wir darauf hinwirken, einen neuen Blick auf die Geflüchteten zu gewinnen. Geflüchtete sind nicht nur Last und Überforderung für die Gesellschaft. Sie können auch Teil einer Lösung zu sein. Es geht mir nicht um eine verharmlosende Sichtweise, die bestehende Schwierigkeiten leugnet. Sondern um die Bereitschaft, auch positive Aspekte wahrzunehmen. Flüchtlinge bereichern unsere Gesellschaft auf vielerlei Weise. Ihr Einsatz auf unserem leergefegten Arbeitsmarkt ist ein sehr sichtbarer und messbarer Aspekt. Die Möglichkeit zu arbeiten hilft unserer Gesellschaft und den Geflüchteten gleichermaßen. Das ist doch ein guter Ansatzpunkt für eine neue Perspektive!
Stefanie Eichler